Saisonarbeiter

Dass Abschlusskollektionen überhaupt nicht danach aussehen müssen, zeigen die AMD-Absolventinnen Hanieh Sabokbar und Daniella Runge

Fotos Patrick Schwalb & Bassi Lichtenberg

Das Problem an Abschlusskollektionen von Modedesignstudenten und -studentinnen ist, dass sie ganz oft auch danach aussehen. Da formen sich Talent und Fähigkeit zu Asymmetrien, Volumina, Proportionen, Drapagen und anderen gut gemeinten Formen von Ambition und aus Hemdsärmeln werden Kopfausschnitte und alles muss Unisex, nein, noch besser: geschlechtslos.

Dass das auch ein Klischee ist, weiß ich, denn ich sitze an der Quelle. Seit vier Jahren unterrichte ich Modejournalismus an der AMD Hamburg und vorletzte Woche wurde ich dort von Professorin Susanne Müller-Elsner in einen anderen Fachbereich gekidnappt. Die Dekanin des Studiengangs Modedesign machte mich zu einem Juroren für die Best-Graduate-Absolventen der AMD-Abschluss-Show „Puls 2014“. Von den über 150 Looks der knapp 20 Bachelor-Studenten blieben mir vor allem die von Hanieh Sabokbar und Daniella Runge in Erinnerung. Mit ihren Herbst-/Winterkollektionen 2014 wurden sie meine Favoriten unter den neuen Saisonarbeitern der Mode.

 

Hanieh Sabokbar

 

Alle Teile aus Hanieh Sabokbars Abschlusskollektion „Persistence“ sind variabel in der Größe. Das klingt nach „One Size Fits All“ oder Oversize, aber keine Sorge. Hanieh nimmt Abstand von genormten Größen, weil sie den Druck abbauen möchte, diesen auch entsprechen zu müssen. Ihre Mode soll nicht aussortiert werden, nur weil man zwischen Fitness, Launen, Saisons und zwei Kleidergrößen schwankt. „Jede Frau soll selbst entscheiden, wie weit sie etwas an ihren Körper heranlässt, wie viel sie zeigen möchte.“

Auch auf Labeling verzichtet die AMD-Abgängerin. Statt ihres Namens oder eines Markenlogos näht sie Hartglas-Etiketten in ihre Kleidung und fordert damit zum achtsamen Umgang mit der Oberfläche, die gleichzeitig auch Zerbrechlichkeit symbolisiert. Seethrough-Elemente und weiße Farben, ja Plural, unterstützen diesen Gedanken.

Das Statement von Susanne Müller-Elsner: „Hanieh ignoriert die Silhouette des Körpers und genau so unkonventionell ist auch der Materialeinsatz wie Pergament und Rosshaar zu Organza und Alpakawolle.“

 

 

Daniella Runge

 

Daniella Runges Abschlusskollektion „Huit Noir“ nimmt sich die Melancholie zur Muse. „Da mein Thema keine erfassbare Inspiration und Melancholie keine Gestalt hat, habe ich mich eher damit beschäftigt, wie sich eine melancholische Person verhält …“

Keine leichte Aufgabe, ein Gemüt begreifbar zu machen, das so viel schwammiger ist als präzise Trauer oder Freude. Melancholie geschieht ohne triftigen Grund und sie birgt eine Romantik, die sich oft in Weltschmerz ausdrückt. Runge trifft das ausgezeichnet. Ihre Kollektion ist hart und zart, konkret und fließend, derb und elegant, alles auf einmal. Das liegt an den unterschiedlichen Lagen und Längen der Looks, vor allem aber auch an den gegensätzlichen Charakteristika der Materialen: gestepptes Leder, Seide, leichtes Organza. „Schwarz spielt auch eine wichtige Rolle. Ich habe die schwarzen Stoffe patchworkartig angeordnet und dadurch hat sich eine vielfältige Farbempfindung ergeben.“

Susanne Müller-Elsner bringt Runge auf den Punkt: „Daniellas Kollektion ist von den Bildern Casper David Friedrichs inspiriert, insbesondere vom Gemälde “Der Wanderer über dem Nebelmeer”. Das Thema des Reisenden wird in ihrer Kollektion durch das Patchworking und die Rucksackdetails ausgedrückt. Ihre Kollektion ist eine Art moderne Rüstung, mit der man gewappnet ist gegen die Anforderungen und Stimmungen des Lebens.“

 

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