Modern Stalking

Mary Scherpe dokumentiert in ihrem Buch „An jedem einzelnen Tag“ das Leben mit ihrem Stalker und digitale Mechanismen von Stalking heute

Foto & Text Fabian Hart

Vor über einem Jahr hat Mary Scherpe die stille Post beendet. Sie hat all die dreckigen Details veröffentlicht, die ihr das Leben zur Hölle machten, an jedem einzelnen Tag.

Auf einem Tumblr teilte sie Fotos von an sie adressierte Glückwunschkarten zur Geburt eines Kindes, das sie nie geboren hatte. Sie scannte Unterlagen ein, die man ihr als Vorbereitung auf eine Brust-OP schickte, die sie nie vorhatte. Mary veröffentlichte Screenshots von erniedrigenden Textnachrichten und Emails mit verschlüsselten IP-Adressen von Absendern, die ihren eigenen Namen trugen oder die ihrer Freunde.

Mary gab den Dingen, die sie monatelang gewohnt war zu empfangen, eine neue Aufgabe. Sie wurden Protagonisten einer Echtzeit-Doku über das Leben mit einem Stalker.

Als Publisher von Stil in Berlin, einem der reichweitenstärksten deutschen Blogs, wusste sie die Darstellungsform zu nutzen. Nicht nur, um ihr eigenes Leid im wahrsten Sinne zu teilen, sondern auch um auf die noch schwammigen juristischen Konsequenzen von „Nachstellungen“ aufmerksam zu machen und auf die neuen digitalen Mechanismen von Stalking. Stalker stehen nicht länger nur vor Häusern, schicken Briefe und penetrieren durch Anrufe. Sie loggen sich via Swarm an denselben Orten ein, an denen man selbst gerade war oder erstellen Instagram-Profile und Twitter-Accounts mit Bildern von der eigenen Haustür.

Über dieses Modern Stalking hat Mary ein Buch geschrieben, das morgen erscheint. Darin erzählt sie von den perversen Spielchen eines besonderen Gefährten, der sein eigenes Leben aufgibt, um Gewalt über ihres zu bekommen. Dass Mary diese Fürsorge Reversio veröffentlicht, macht aus einer Geschichte zwischen Zwei eine öffentliche Diskussion und gibt dem Stalker mehr Aufmerksamkeit, als ihm lieb ist.

 

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